WAZ, 02.02.2008, Lokalausgabe Bochum

Auch Kumpel Anton ist ein Mythos

Meint Revier-Kenner Klaus Tenfelde. Podium diskutierte "Ruhr 2010"

Von Werner Streletz

Viele Wege führen zur Kulturhauptstadt. Wie die Richtung dorthin aus Sicht der Essener "Ruhr 2010"-Zentrale aussehen könnte, erläuterte Asli Sevindim. Die in Duisburg geborene Deutschtürkin ist im Quartett der Hauptstadt-Direktoren, zu dem auch GMD Steven Sloane gehört, für die Bereiche Literatur, Geschichtskultur und Migration zuständig. Während der Podiumsdiskussion im Haus der Ruhrgebiets-Geschichte an der Clemensstraße berichtete Sevindim allerdings hauptsächlich vom Bereich Migration: Sie spricht lieber "von kultureller Vielfalt".

Asli Sevindim betont, dass sie bei ihren Planungen von "keinen Visionen" ausgehe, sondern von der Wirklichkeit. Darum richtet sie den Focus nicht nur auf Kultur im engeren Sinne, sondern ist darüber hinaus um einen gesellschaftspolitischen Ansatz bemüht. "Ist die Kulturhauptstadt auch bei meinem türkischen Vater angekommen?" fragt sie. Oder bei der im Ruhrgebiet lebenden portugiesischen oder armenischen Familie? Hier eine Brücke zu schlagen, ist das Anliegen der 2010-Direktorin: "Das geht in viele Unterschichtenbereiche hinein." Die "interkulturelle Öffnung" ist für sie das Zauberwort.

So hat sie in der Essener Philharmonie mit einer türkischen Gruppe, "die dort noch nie gewesen ist", ein Konzert besucht. Ähnliche, nur vermeintliche Grenzüberschreitungen sollen folgen. Auch Jugendtrends wie HipHop oder Breakdance hat Asli Sevindim erkundet und ist beeindruckt von der "hohen Qualität". Die sogenannte "Street Art" wird ein Schwerpunkt ihrer Planung für das Jahr 2010 sein.

Für Bundestagspräsident Norbert Lammert, zweiter Diskutant auf dem Podium, steht fest, dass eine europäische Identität, eine europäische "Seele" nur durch kulturelle Anstrengungen zu erreichen sind und sicherlich "nicht durch die Märkte". Im Hinblick auf das Ruhrgebiet hat Lammert die Erfahrung gemacht, dass die "regionale Identifikation heutzutage bei den Menschen schon ausgeprägter ist als die lokale."

Besonders Jugendliche würden das Revier insgesamt als ihren Erlebnisraum erfahren. Das frühere Kirchturmdenken würde eigentlich nur noch "die Oberbürgermeister" mancher Revierstädte pflegen. Prof. Klaus Tenfelde, Institutsleiter an der Clemensstraße, vermutete, dass es wohl mehrere Identitäten für den Revierbürger gebe: "Von der Region bis zum Stadtteil."

Und schließlich regte Tenfelde an, dass über all den großen Kulturhauptstadt-Gedanken die bodenständigen Mythen nicht vergessen werden sollten: "Pommes rot-weiß und Kumpel Anton ."


zit. nach:
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